Die Partnerschaft zwischen der Grundschule Neukarthause und der Ecole élémentaire dapplication Blaise Pascal besteht seit 1976. Als das DFJW im Jahr 2002 anbot, am "Tele-Tandem"-Pilotprojekt teilzunehmen, waren beide Schulen mit Blick auf eine Bereicherung und Erneuerung des bestehenden Austausches, inklusive Verbesserung der Kommunikation und Kooperation zwischen den dt. und frz. Schülern, sofort interessiert. 70) Aufgrund technischer Probleme befassten sich die Partner im Schuljahr 2002/03 vorwiegend mit traditioneller Tandemarbeit und erweiterten diese im folgenden Jahr unter Bearbeitung zweier Projekte zur "Tele-Tandem"-Arbeit. Auf beiden Seiten nahmen acht Schüler (4. Klasse und CM2) an den Internet-Sitzungen teil. In die physischen Begegnungen wurde eine Vielzahl weiterer Deutsch und Französisch lernender Mitschüler einbezogen. Sie stellten im Rahmen der Projektarbeit, d.h. der Vorführungen (siehe unten), u.a. binationale Sing- und Sprechchöre.
Die erste physische Begegnung der Partner fand im Dezember 2003 in Koblenz statt. Thema war die Adventszeit, Höhepunkt eine gemeinsame Aufführung zum "Nikolausabend in einer dt. Familie". 71) Zuvor hatte es Briefkontakt gegeben. Nach der ersten Begegnung blieben die Schüler auch privat in Kontakt; die "Tele-Tandem"-Kooperation intensivierte sich. Die zweite Begegnung fand im Mai 2004 in Nevers statt. Ziel war diesmal eine gemeinsame Zirkusvorstellung, die die "Tele-Tandem"-Partner innerhalb von vier Sitzungen (per Webcam, Chat und Telefon) gemeinsam geplant und vorbereitet hatten und dann in Nevers in Tandems mosaikartig zusammensetzten. Die Partner arbeiteten dabei sowohl in der Schule als auch zuhause an der Fertigstellung des Spektakels.
Die partnerschaftliche binationale Realisierung konkreter Projekte inklusive Präsentationen war eine Neuheit in der Geschichte der Schulpartnerschaft. Die Schüler wählten aus der Entfernung gemeinsam die einzelnen Zirkusnummern. Anschließend brachten sie sich das entsprechende Vokabular bei, studierten gemeinsam Ansagen ein und lehrten sich Liedtexte. Da über das Internet keine reibungslose Tonverbindung zustande kam, sandten sich die Partner zur Unterstützung Audio-Kassetten zu, die sie auch selbst besprochen hatten. Neu war während der Online-Vorbereitung der zweiten Begegnung, dass teilweise auch eins der Lieder durch "Tele-Tandem" erlernt wurde. 72) Die Partner zeigten sich zum Lied passende Bilder und brachten sich dt. und frz. Schlüsselwörter bei. Beim darauffolgenden gemeinsamen Einstudieren der Lieder in "monoclasses" für die Chöre übernahmen die "Tele-Tandem"-Schüler gegenüber anderen Deutsch und Französisch lernenden Schulkameraden die Lehrerfunktion. Michèle und Anja beobachteten, dass die mittels der neuen Technologien geleistete Vorarbeit bei den Schülern gegenseitiges Vertrauen und sogar Freundschaften schuf. Hemmungen und Sprachbarrieren wurden frühzeitig abgebaut. Auf frz. Seite arbeiteten die Schüler in Zweier- oder Dreiergruppen: Ein Schüler schrieb bzw. redete, ein anderer hielt ein Bild o.ä. in die Kamera. Während in Nevers mehrere Rechner zur Verfügung standen, fanden die "Tele-Tandem"-Sitzungen in Koblenz an Anjas Bürorechner statt: Die Schüler kamen nacheinander an die Reihe. Außerdem musste Anja ihre "Tele-Tandem"-Teilnehmer für die Sitzungen mit Nevers vorübergehend stets aus anderen Kursen befreien, was bei den verantwortlichen Kollegen bald auf Widerstand stieß. In der Koblenzer Grundschule gibt es zwar einen Informatikraum (15 Rechner), doch ließ sich damit im Schuljahr 2003/04 kein Webcam-Kontakt etablieren.
Die zweite physische Begegnung konnte durch "Tele-Tandem"-Arbeit gezielter vorbereitet werden. Die aus der Entfernung erworbenen Sprachkenntnisse wurden während des Treffens gefestigt. Im Anschluss an die zweite Begegnung fand eine weitere "Tele-Tandem"-Sitzung statt. Da nun auch die Arbeit am Thema "Zirkus" abgeschlossen war, hatten die Partner Gelegenheit, sich über die bevorstehenden Ferien zu unterhalten. Sie fragten sich gegenseitig nach ihren Ferienzielen ("Tu vas où en vacances ?") und brachten sich die jeweiligen dt. und frz. Antworten bei ("Je vais à la campagne / chez ma grand-mère / au bord dun lac, peut-être en Italie", etc.). Ziel war dabei das Verwenden und Festigen thematischen Wortschatzes sowie das Üben der verschiedenen Arten der Fragestellung. Die Fragen und Antworten waren zwar vor der Sitzung vorbereitet worden, doch Michèle betonte, dass die Schüler "ihre Ferienziele nicht erfunden hatten, sondern wirklich erzählen wollten, wo sie hinfahren."
Nach einem Jahr "Tele-Tandem" sind Anja und Michèle sowie alle anderen Tagungsteilnehmer von den erheblichen Vorteilen für die Lerner überzeugt: Nicht nur, dass viele Schüler (und Lehrer) mit dem Internet vertraut gemacht wurden, es bestanden vor dem Besuch des anderen Landes auch weniger Hemmungen, weil sich die Partner bereits kannten. Zu erwähnen sei im Fall Koblenz / Nevers auch ein frz. Schüler, der während der "Tele-Tandem"-Arbeit durch die Erkenntnis: "En travaillant, jy arrive." seine Resultate in den Fächern Französisch und Mathematik verbessern konnte. Die Partner tauschten hier zu Beginn der Sitzungen über Chat zudem oft Small-Talk aus und erkundigten sich z.B. bei Abwesenheit des dt. bzw. frz. Freundes nach dessen Befinden (z.B. "Wo ist Dorothee? Ach, sie ist krank. Was tut weh?). Oder sie sprachen sich im Rahmen der Fußball-EM Mut zu (ein frz. Schüler: "Deutschland hat verloren.", sein dt. Freund: "Ist nicht schlimm. Frankreich ist ja noch dabei." 73)) Dadurch erweiterten sie in der Fremdsprache ihr Alltagsvokabular ("Was heißt "Fieber" auf Französisch?"). Im Vorfeld der "Tele-Tandem"-Sitzungen erlernte dt. und frz. Wendungen des Typs "wiederhole bitte", "super" oder "du bist dran" fielen schnell spontan. Auch die Motivation und das Engagement waren größer sowohl mit Blick auf die korrekte Aussprache des Gelernten weil der Partner etwas vorsprach und nicht der Lehrer als auch auf die Lehrerrolle. Michèle berichtete, dass einige ihrer Schüler verstärkt diese Lehrerfunktion ausübten, indem sie den Kameraden halfen und oft die Initiative ergriffen. Andere Schüler benötigten etwas mehr Anleitung durch die Lehrer. Das "Tele-Tandem"-Projekt konfrontierte Michèle und Anja auch mit ihrer eigenen pädagogischen Praxis:
"Die Arbeit am "Tele-Tandem" hat uns auf die Idee gebracht, zum ersten Mal ein gemeinsames Produkt herzustellen und früher einzeln behandelte Themen wie Farben, Körperteile und Kleidung in einen Kontext einzubetten." (Zitat Anja Thomaschewski)
Die beiden Präsentationen zu den Themen "Adventszeit" und "Zirkus" hatten große Wirkung auf die Eltern, Kollegen und Repräsentanten des Austausches. Die Begegnungen seien durch die Präsentationen aufgewertet worden. Französische Englisch-Lerner, die ebenfalls in die physischen Treffen integriert wurden, würden im Rahmen ihres Englisch-Unterrichts auch gern "Tele-Tandem"-Arbeit betreiben, so Michèle. Auf frz. Seite zeigten sich Kollegen, die Stadt und schulbehördliche Mitarbeiter interessiert und hilfsbereit, z.B. im technischen Bereich. Die Stadt Nevers, die viele Städtepartnerschaften unterhält, wird dafür sorgen, dass auch andere städtische Schulen mit neuer Kommunikationstechnik ausgerüstet werden. Michèles Schule, bislang in Nevers als einzige mit ADSL ausgestattet, wird dabei der Experimentation dienen.
Anja konnte das Projekt aus zeitlichen Gründen zwar nicht wie geplant auf einer Dienstbesprechung zum Thema "Fremdsprachen" vorstellen, dafür kam aber eine andere Schule auf sie zu, um sich darüber zu informieren. Mehr öffentliche Aufmerksamkeit gab es am 19. Juni 2004 während des "Internationalen Tages" in Koblenz, als die dt. Kinder den frz. Teil der Zirkusvorstellung aufführen und das Projekt vorstellen konnten. Ihre Eindrücke zum "Tele-Tandem"-Projekt und den physischen Begegnungen vermittelten die dt. Partnerschüler in einem selbstverfassten Rap ("Notre échange a tradition"). Anjas ehemalige Viertklässler wollen weiterhin Französisch lernen. Da das benachbarte Gymnasium in Klasse 5 keinen Französisch-Unterricht anbietet, will Anja sich für eine entsprechende AG einsetzen. Zwei ihrer Schüler entschieden sich sogar für ein Gymnasium mit bilingualem Zweig. Anja merkte an, dass es besser wäre, "Tele-Tandem" in Zukunft z.B. mit Drittklässlern durchzuführen. So könnten die Schüler über zwei Jahre hinweg Projektarbeit betreiben und mehr Eigenständigkeit entwickeln.
Anja und Michèle wollen ihre Zusammenarbeit fortsetzen. Mit Blick auf die Technik wäre es laut Michèle optimal, wenn es in Zukunft eine ständig geöffnete Internetverbindung gäbe, die je nach Bedarf im Rahmen von "Tele-Tandem"-Arbeit genutzt werden kann. Anja wünscht sich für "Tele-Tandem" eine eigene Unterrichtsstunde und wird für drei weitere Webcams sorgen. Die Schüler sollen freier kommunizieren können. Momentan arbeiten die Schulen an der Lösung der Tonprobleme, wofür Tests mit dem Programm "iVisit" durchgeführt werden.